
Der emeritierte Pfarrer und einstige Dechant steht zur Begrüßung an der Tür seiner Wohnung am Schlosspark. Hier lebt er allein, seitdem die über 30-jährige Ära als Pfarrer von St. Antonius 2001 ihren Abschluss fand. Seinem Nachfolger Pfarrer Norbert Mertens hatte er versprochen, sich nicht mehr ins Gemeindeleben einzumischen und Wort gehalten.
Sein Wirken konzentrierte Schultes fortan auf das St.-Elisabeth-Hospital, betätigte sich als Krankenhausseelsorger, bis ein schwerer Sturz ihn mit 82 Jahren zwang, diese Tätigkeit aufzugeben. Obwohl er seit zwei Jahren auf einen Rollator angewiesen ist, übernimmt der Hochbetagte mit dem wachen Geist noch alle 14 Tage die Gestaltung des Gottesdienstes in der Krankenhaus-Kapelle. „Wegen Corona ohne Besucher. Hoffentlich schauen die Patienten die Übertragung wenigstens im Fernsehen an.“
„Was haben wir damals für Remmidemmi gemacht“
Es steht nicht gut um seine Kirche. Eine Entwicklung, die Robert Schultes vorausgesehen hat. „Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil herrschte eine solche Aufbruchstimmung“, erinnert er sich. Es war die Zeit seiner Anfänge in Herten. Alle hofften auf eine zeitgemäßere Ausrichtung der Kirche. „Was haben wir damals Remmidemmi gemacht“, sagt er. Auch politisch: „Ich habe immer gesagt: Wir sind der Anwalt der Menschen in der Innenstadt.“ Vor Ort in der Gemeinde wurde unter seiner Federführung modernisiert, Hierarchien aufgebrochen, offen diskutiert über einstige Tabuthemen wie Sexualität und Empfängnisverhütung.
Doch die Überarbeitung des Kirchenrechts brachte keine entscheidenden Neuerungen. Die Kirche gab weiter Antworten von vorgestern auf Fragen der Neuzeit. „Ich habe damals gesagt: Wenn das so weiter geht, wird die Kirche zunehmend an Bedeutung verlieren – und so kam es dann auch.“

Als er in Herten loslegte, boomte das Gemeindeleben: „1972 gingen 80 Kinder allein in St. Antonius zur Erstkommunion.“ Schultes setzte Zeichen in einer zunehmend durch soziale Ungleichheit geprägten Stadtgesellschaft: Die Gemeinde schaffte einfache Kutten an, die die Kommunionkinder anstelle oder über ihren Festkleidern trugen.
Keine Modenschau im Mittelgang der Kirche
Die Botschaft: Konzentration auf das Wesentliche, statt Modenschau im Mittelgang. In die fünf Gottesdienste am Wochenende kamen einst 1800 Besucher in die St.-Antonius-Kirche. Das gibt es heute höchstens noch zu Weihnachten oder zu Ostern, wenn nicht gerade Corona ist.

Themen, die heute heiß diskutiert werden – Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, Abschaffung des Zölibats, Frauen ins Priesteramt – sind in seinen Augen alte Hüte und längst überfällig. „Ich war schon lange der Ansicht, die Kirche muss die Homosexualität aus der Schmuddelecke herausholen und habe schwule Paare gesegnet.“ Und der Zölibat? „Gehört natürlich abgeschafft!“
Tägliche Spaziergänge im Schlosspark
Robert Schultes hat in den vergangenen Jahren manche liebe Gewohnheit aufgegeben, etwas das Autofahren. Auch Einkaufen geht er nicht mehr selbst. Doch die täglichen Spaziergänge im Schlosspark hat er beibehalten, wenn er sich auch auf die gepflasterten Wege der LWL-Klinik beschränkt. „Die Natur erfreut mich sehr.“

Das Geheimnis seines wachen Geistes? Die Hertener Allgemeine und die Süddeutsche Zeitung liegen zum täglichen Konsum auf dem Wohnzimmertisch. Nur die Lektüre der zahlreichen Bücher, die mehrere Regalwände füllen, ist ihm zu anstrengend geworden.
Am Anfang der Zweite Weltkrieg, jetzt die Pandemie
Die Corona-Krise lässt Schultes nachdenklich auf sein Leben blicken: „Zwei einschneidende Ereignisse: Zu Beginn der Krieg mit dem zweimaligen Verlust unseres Hauses und jetzt am Ende die Pandemie, die unser aller Leben so einschneidend verändert.“ Ganz unmittelbar betrifft das auch seinen 90. Geburtstag, den er nicht wie den 80. mit einem großen Fest begehen kann. Gleichwohl: Herzlichen Glückwunsch diesem sympathischen, geistreichen Denker, der Herten ganz schön aufgemischt hat.