
Es ist das größte Outing in der Geschichte der katholischen Kirche: 100 Gläubige in ihrem Dienst bekennen vor der Kamera, dass sie schwul, lesbisch oder transsexuell sind. Peter Wozny (50), früherer Mitarbeiter unserer Zeitung, hat als Redakteur des Investigativ-Teams von EyeOpening Media mit ihnen gesprochen. „Wie Gott uns schuf“ (ARD) wurde als beste Doku des Jahres mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Der Film ist in der ARD-Mediathek zu sehen.
Über Jahre hat das Autorenteam mit großem Aufwand nach seinen Protagonisten gesucht. Auch Markus Gutfleisch, Sozialarbeiter der Caritas in Dorsten, über dessen Outing unsere Zeitung mehrfach berichtete, gehört dazu. Im Interview mit uns erzählt Peter Wozny mehr über die Aufsehen erregende Doku.


Wie kamt Ihr an die Menschen, die sich geoutet haben – zum Beispiel an Transmenschen im kirchlichen Dienst?
Hajo Seppelt, der Leiter unseres Teams, hatte die Idee schon 2013. Damals wären aber kaum Betroffene vor die Kamera gegangen. Vor zwei Jahren gab es einen neuen Anlauf. Die Zeit war reif. Priester und Gemeindemitarbeiter, aber auch Krankenschwestern, Ärzte oder Kita-Mitarbeiter, die eine von der katholischen Kirche nicht akzeptierte Sexualität offen leben, verstoßen gegen das kirchliche Arbeitsrecht und müssen Angst haben, ihren Job zu verlieren. Transgender-Personen gibt es für die katholische Kirche nicht. Theo Schenkel, ein junger Mann, der früher eine Frau war, wird von der Kirche weiter als Frau geführt. Sie erkennt eine Geschlechtsumwandlung nicht an. Daher darf Theo Schenkel seine Freundin nicht heiraten und muss um seine Zulassung als Religionslehrer fürchten.

Unser Ziel war es, 100 Menschen vor die Kamera zu bekommen, die sich öffentlich outen. So sind wir mit der queeren Initiative „OutInChurch“ in Kontakt gekommen. Zeitgleich zur Ausstrahlung der Dokumentation in der ARD ist sie an die Öffentlichkeit gegangen. Aber nicht alle unsere Protagonisten sind bei „OutInChurch“ organisiert, viele haben wir selbst recherchiert. Knapp eine Millionen Menschen arbeiten in katholischen Einrichtungen und Organisationen. Trotzdem war es bis zum Ende ein Kampf, 100 zusammenzubekommen, die vor der Kamera offen darüber sprechen, dass sie nicht-heterosexuell sind. Das zeigt, wie tief verwurzelt die Angst vor den möglichen Konsequenzen ist.
Wer hat die Interviews geführt?
Meine Kollegin Katharina Kühn und ich haben alle 100 Interviews geführt. Das war eine unglaublich intensive Arbeit, teils unter Geheimhaltung, in Hinterzimmern und manchmal sogar in Sakristeien. Mit Hajo Seppelt und Marc Rosenthal haben wir uns dann an die filmische Montage gemacht. Wir haben dabei versucht, zu erzählen, ohne selbst zu bewerten oder anzuklagen. Um den Überraschungseffekt zu sichern, hat die ARD erst kurz vor der Ausstrahlung das Thema bekannt gegeben. In der Fernsehzeitung war eine Hai-Doku angekündigt.
Was hat Dich bei den Gesprächen am meisten berührt?
Der Mut aller, die sich öffentlich geoutet haben. Für viele war es eine Überwindung, vor die Kamera zu gehen. Wir mussten sehr feinfühlig sein, Vertrauen aufbauen und konnten niemandem versprechen, dass das Outing ohne Folgen bleiben würde. Am härtesten war, was die Leute mitgemacht haben. Monika Schmelter und Marie Kortenbusch haben 40 Jahre damit verbracht, sich als Paar zu verstecken und sind deshalb täglich 130 Kilometer zur Arbeit gefahren. Da habe ich gemerkt, wie viel Druck dahinter steckt.
Hat die Preis-Skulptur bei Dir schon einen Ehrenplatz?
Eine Vitrine habe ich noch nicht. Ich werde sie auf meinem Schreibtisch aufstellen. Wir bekommen auch noch den Katholischen Medienpreis. Das freut mich sehr, weil es zeigt, dass die Kirche unseren Film ernst nimmt. Kardinal Reinhard Marx wird den Preis überreichen und ich bin schon sehr gespannt auf ein Gespräch mit ihm.

Wie hat die Amtskirche auf den Film reagiert?
Wir hatten während der Recherche alle 27 Bischöfe in Deutschland angeschrieben und gebeten, Stellung zu nehmen. Aber nur der Aachener Bischof Helmut Dieser ist vor die Kamera getreten und hat im Film queere Menschen um Entschuldigung gebeten. Auch nach der Ausstrahlung hat sich die Kirche mit Reaktionen zurückgehalten. Einzelne Bischöfe haben queeren Menschen zugesichert, dass ein Outing keine negativen Folgen haben würde. Von keinem unserer Interviewpartner haben wir bisher Negatives gehört. Es gab aber keine konkrete Ankündigung, das kirchliche Arbeitsrecht zu ändern. Vor drei Wochen haben Teile der Deutschen Bischofskonferenz einen Text zur Reform kirchlicher Sexualethik blockiert. Ein böser Rückschlag für alle, die auf eine offenere Kirche gehofft hatten.

Was recherchierst du aktuell?
Es geht wieder um Doping im Sport. Mehr kann ich noch nicht verraten.
Journalistische Laufbahn begann in Marl
In den 1990er-Jahren war Peter Wozny für unsere Marler Lokalredaktion als Reporter unterwegs. Als Augenzeuge berichtete er am 11. September 2001 für die ARD und für unsere Zeitung aus New York, wo er die Terroranschläge auf das World Trade Center aus unmittelbarer Nähe erlebt hat.
Heute enthüllt er als Redakteur des Investigativ-Teams von EyeOpening Media Missstände und Korruption im Leistungssport. Seine Fernseh- und Radiobeiträge werden in Magazinen der ARD gesendet. Peter Wozny ist verheiratet und Vater eines Sohns und einer Tochter. Er lebt in Berlin. Die Marler Zeitung liest er regelmäßig auf dem Tablet.