
Auch in Fenstern der Praxis Dr. Nicole Lange & Volker Löffler hängen Protestplakate des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte (BpT). An der Schachtstraße 67 in Marl-Brassert werden Menschen mit Patienten vorstellig, die exakt der gängigen Vorstellung von einer Heimtierpraxis entsprechen: mit Hunden, Katzen, Vögeln, Reptilien, Kaninchen, Meerschweinchen…
Bei bakteriellen Infektionen Mittel der Wahl
Sie können an Krankheiten oder Verletzungen leiden, für deren Behandlung ein Antibiotikum das Mittel der Wahl ist. „Wir brauchen in der Tiermedizin schlicht und ergreifend auch Antibiotika“, sagt Nicole Lange. Im Tagesgeschäft ist der Einsatz bei bakteriellen Infektionen oder Verletzungen bisweilen unumgänglich. Ohrenentzündungen etwa kommen häufig vor – jeder Tierhalter, der sein „Familienmitglied“ an Schmerzen leiden sieht, kann davon ein Lied singen.

Lange will im Gespräch über ein von der EU geplantes Antibiotikaverbot im Maststall den Vergleich nicht von der Hand weisen, dass man auf Massentierhaltung zielt, aber Tierartpraxen und Millionen Besitzer von Heim- wie Hoftieren, z. B. Pferden, gleich mit getroffen werden. „Wir fürchten wirklich, dass uns bestimmte Antibiotika künftig nicht mehr zur Verfügung stehen“, berichtet Nicole Lange. „wir brauchen alle für die Tiermedizin zugelassenen Antibiotika weiter.“
Vorbehalt für den Menschen steht außer Frage
„Dabei ist es doch gar keine Frage, dass es einen Antibiotika-Vorbehalt für den Menschen geben muss“, macht Lange deutlich – auch Tiermediziner sind bei eigenen Erkrankungen darauf angewiesen, dass multiresistente Keime beim Menschen noch irgendwie bekämpft werden können.
Lange hat am Donnerstagmittag gerade zuvor operiert und dabei wie immer versucht, ohne Antibiotikum auszukommen – oder den Einsatz so gering wie möglich zu halten.
Im nächsten Jahr feiert ihre Praxis den 20. Geburtstag, die 46-Jährige arbeitet ehrenamtlich als Mitglied der Kammerversammlung der Tierärztekammer Westfalen-Lippe und im Vorstand des BpT-Landesverbandes Westfalen-Lippe – so steht sie im Austausch mit vielen Kollegen. „Ich kenne keinen, der nicht auch so verfährt. Es sind doch alle für das Thema sensibilisiert. Wir sind bereits auf einem guten Weg, sparen ein, wo wir nur können.“
Seit 2018 etwa ist eine Antibiotika-Empfindlichkeitsprüfung (Antibiogramm) fällig, um abschätzen zu können, ob und was Mittel im konkreten Fall bringen. Für manche Tierarten ist die Bandbreite geeigneter Antibiotika zudem sehr schmal.
Zu viele Schlupflöcher im ersten EU-Entwurf
Warum also dieser Konflikt? Am 13. Juli hatte ein Veto der Grünen im Umwelt- und Gesundheitsausschuss des Europäischen Parlaments einen ersten Vorschlag der EU-Kommission zum künftigen Umgang mit sogenannten Reserveantibiotika in der Massentierhaltung – Stichwort Geflügelmast – als zu lasch gestoppt.
Es enthält u. a. nach Ansicht des deutschen EU-Politikers Martin Häusling (Grüne) Schlupflöcher für den großflächigen Einsatz von Reserveantibiotika in der Mast – fraglos ist die Sorge groß und begründet, dass in der Behandlung von Menschen kein verfügbares Antibiotikum mehr wirkt. Häusling hat bereits mit einem offenen Brief vehement auf die Tierärzte-Kampagne reagiert: „Weder die Einzeltierbehandlung und schon gar nicht sind Haustiere von diesem Beschluss betroffen!“
Also alles gut? Bis zum 8. September ist die Unterschriften-Kampagne der praktizierenden Tierärzte geplant. Ebenso läuft eine zwar nicht vom Bundesverband initiierte, aber gleichwohl unterstützte Online-Petition im Internet.
Die endgültige Abstimmung soll im EU-Parlament Mitte September stattfinden, das neue Gesetz ab Januar 2022 in Kraft treten. Dr. Nicole Lange und ihre Kollegen hoffen, bis in Brüssel Gehör zu finden. Patienten auf vier Pfoten warten schon.